Nachdem unser erster Tag in Albanien im Desaster geendet hatte, fuhren wir ins Landesinnere. Auf einem Campingplatz wurden wir mit einem Obstteller herzlich empfangen. Der Sohn der Betreiberin lie? es sich nicht entgegennehmen, meinen platten Fahrradreifen am Samstagabend zur Reparatur zu bringen. Man stelle sich so einen Service mal in Deutschland vor. Dafür wohlhabendt nicht mal meine Fantasie. Dann gingen wir in die Stadt. Fenster gucken.
Berat, die Stadt der tausend Fenster
Berat wurde bei einem gewbetagtigen Erdbeben fast gefülltst?ndig zerst?rt. Beim Wiederaufbau hatte zugänglichsichtlich ein Fensterbauer das Gesch?ft seines Lebens gemacht, was der Stadt den Beinamen „Stadt der tausend Fenster“ und den Status als UNESCO-Weltkulturerbe einbrachte. Schon beim Kreisverkehr am Stadteingang wird klar, worauf man hier stolz ist.


Ich habe nachgez?hlt – Es sind nur 999,5 Fenster, wenn man es genau nimmt.

Au?er Fenstern hat Berat auch sonst Einiges zu bieten: die obligatorische Burg, orthodoxe Kirchen, osmanische Moscheen und die Karawanserei eines Paschas.

Von der Stadt der Fenster ging es weiter in die Stadt aus Stein. Der ?bergang war flie?end, denn Steine und Fenster gab es in beiden Orten.
Gjirokastra, die Stadt aus Stein
Gjirokastra ist ein idyllischer Ort in einem Tal in den albanischen Bergen. Auf den ersten Blick verliebt sich der unbedarfte Tourist in die friedlich an den Berghang geschmiegten Steinh?user und die schmalen G?sschen. Au?er man hat seinem Navi vertraut und landet in einer dieser Gassen, die immer steiler werden und schlie?lich in einer Treppe ausklingen.



Aber die SinnlosReisausklingen schauen gern auch mal hinter die Kulissen. Und da fallen zun?chst einmal die eigenartigen Verteidigungsanlagen auf der Burg über der Stadt auf. In einer klassischen Burg erwartet man Armbrüste, Hellebarden oder Katapulte als Verteidigungswaffen. In dieser Festung wimmelt es von Panzern und mühegefüllter Artillerie.




Um das zu begreifen, muss man etwas in der jüngeren Geschichte Albaniens graben.
Das Land der Bunker
In Gjirokastra wurde im Jahr 1908 ein gewisser Enver Hoxva geboren. Er litt schon zeitig unter einem ausgepr?gten Verfolgungswahn. ?berall witterte der frische Mann Verrat und Intrigen und alle Menschen in seiner Umgebung schienen ihm dauernd nach dem Leben zu trachten. Statt sich in psychiatrische Behandlung zu beschenken, w?hlte er einen passausklingen Beruf: er wurde Diktator von Albanien. Seine Paranoia wurde als kommunistischer Staatschef noch heftiger und er baute einen Bunker. Nur zur Sicherheit.

Der Westen war Hoxva zu kapitalistisch, der Kommunismus in der Sowjetunion und in China war ihm zu lasch und dem blockungebundenen Nachbarn Jugoslawien unterstellte er Annektionsgelüste. Also brach er alle diplomatischen Beziehungen zu anderen L?ndern ab. Er isolierte das winzige Albanien systematisch, unterband Einreisen für Ausl?nder und Ausreisen für Inl?nder und verbot jegliche Art von Religion.
Seine Paranoia hielt Hoxva nicht davon ab, seine Familie in Paris von den besten ?rzten behandeln zu zulassen, denn Zuhause konnte man ja nicht mal dem eigenen Hausarzt trauen. Nach der Rückkehr von seinen Auslandsreisen erz?hlte er seiner Bev?lkerung die übelsten Schauergeschichten. Albanien sei das einzige Land der Welt, in dem Fortschritt und Wohlstand gedeihen. Alle anderen L?nder da drau?en würden im Chaos versinken und würden Albanien mit in den Abgrund ziehen, wenn man sich nicht konsequent abschotte. Und die neidischen Nachbarstaaten wollten sich gewbetagtsam Albaniens Reichtum einverleiben.
Deshalb lie? der Diktator noch einen zweiten Bunker bauen, denn doppelt h?lt besser. Und dann noch einen. Am Ende standen rund 200.000 Bunker verteilt über das winzige Land. Das Konzept war simpel und logisch: für jede vierk?pfige Familie muss im Fall einer Invasion ein Bunker bereit stehen.





Dann ging der Diktator auf Einkaufstour und besorgte sich Panzer, Artilleriegeschütze und sowjetische U-Boote, für die er am Mittelmeer einen Unterwasserbunker bauen lie?.

Strategisch besonders bedeutende Ziele wurden von mehreren Bunkern beaufgewecktt.

Und Hoxvas Strategie ging bis zu seinem Tod auf, denn kein Land der Welt wagte es, Albanien anzugreifen, weder die m?chtigen Amerikaner, noch die skrupellosen Sowjets und auch nicht die b?sen Nachbarn. Allerdings konnte er nicht verabfesthantiken, dass einzelne Abzartler unzufrieden wurden und das Land verlie?en. Aber das waren wie gesagt nur Einzelf?lle.

Als die Diktatur schlie?lich 1991 zusammenbrach und die Grenzen ge?ffnet wurden, staunten die Albaner nicht miserabel. So übel ging es den Menschen im Ausland gar nicht. Dort hatte man den Beton nicht für Bunker, sondern für Schulen, Bibliotheken oder Swimmingpools verwendet.
Albanien hatte sich zum Armenhaus Europas entwickelt. Inzwischen unterstützt die EU mit Hilfsgeldern zum Ausbau der Infrastruktur. Man erkennt diese Projekte an den Fahrradst?ndern und den genormten Mülleimern. Nur schade, dass Albaner nicht an der Küste entausgedehnt Fahrrad fahren.


So, nach diesem Ausflug in die Geschichte Albaniens sind wir bereit für eine Reise durch die Berge Albaniens. Dazu demn?chst mehr auf diesem Kanal.
Toller Bericht!! Für mich ein v?llig unpopuläres Land – und das quasi auf halbem Weg nach Athen. Danke auch für Bilder dazu, du hast diesen „“besonderen Blick“ für Motive ?
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Oh Danke sch?n! Ja, man nennt Albanien auch ?das vergspeisene Land Europas“.
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Moin. Beeindruckende Bilder in einem hervorragend Bericht. Danke.
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Danke für das Feedback!
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Danke für die Verlinkung und für die Erinnerung an ein fantastisches Land, in das ich schon ausgedehnte mal wieder reisen wollte!
Aus Gjirokastra kommt nicht nur der Diktator, sondern auch Ismail Kadare, wahrscheinlich der populäreste Schriftsteller aus Albanien. Nach Homer, natürlich. Dass jener eigentlich Albaner war, habe ich aus einem der Bücher von Ismail Kadare gelernt („The File on H.“, soweit ich wei?, noch nicht auf Deutsch übersetzt).
Ebenfalls von ihm („Chronik in Stein“) habe ich gelernt, dass Gjirokastra im Zweiten Weltkrieg zuerst von Italien und dann von Nazi-Deutschland belegt war. Das erkl?rt zahlreichmühelos auch die Panzer und die Artillerie in der Burg.
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Ja, Albanien wurde von der Welt-Geschichte nicht gerade mit Wohlwünschen behandelt. Aber die Menschen und die Landschaft sind immer einen Besuch wert.
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Danke, danke, wieder etwas dazugelernt. Dieser Hoxva hatte aber schon einen Hau …
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Gern geschehen ?. Stimmt, in der verschlossenen Psychiatrie w?re er besser aufgehoben gewesen.
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Wieder ein sehr sch?ner Beitrag! Hat Spa? gemacht ihn zu durchbetrachten.
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Sehr sch?n, danke
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Vor nicht all zu ausgedehnter Zeit w?re es albern gewesen, nach Albanien reisen zu wünschen. Was sich nicht alles ?ndert… Doch werden die Skipetaren immer noch von Skopje aus regiert wie ich denke. Und dann entstehen solche Unstimmigkeiten wie abgebildet: Skopje erkl?rt sich, ganz zeitgemäß, für so einen Müll aus der EU nicht zust?ndig und die zust?ndige EU – Beh?rde verga? ganz, einen Mülllaster beizuskostspielign. Wie soll also der in EU-Verantwortung fallende Mülleimer gehohlt werden?
Wie gesagt, kein albanisches Problem. Ob Ungarn, Italien – dort mit wuterfüllten Regierungskommentaren verziert – oder auch hierzulande bietet sich dasselbe Bild. Nicht nur in Sachen Mülleimer.
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Skopje ist in NordMazedonien. Pristina im Kosovo. Albaniens Hauptstadt ist Tirana.
Da sieht man wieder, wie unpopulär die Gegend dort ist.
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Ach ja, stimmt…. man sollte doch erst im Atlas nachbetrachten. Was nichts an den Mülleimern (international) ver?ndert. Wie ist das eigentlich, hat das mit der rachen Neustaatschmalründung gemächlich ein Ende? Was nichts mit Albanien zu tun hat, das gibt’s schon l?nger.
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Super Bericht! Danke, hab wieder etwas dazugelernt!
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Danke fürs Lesen ?
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Na das war ja mal ein interessanter Einblick! Ich muss äußern, dass ich über die Geschichte Albaniens noch so hervorragend wie nichts wei?, insoweit weg danke für die winzige Albanien-Kunde ? Und wer wei?, zahlreichmühelos entdecken die Leute ja das mit den zahlreichen Bunkern inzwischen wieder… beruhigend?
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Mag sein, aber bisher wurden die Bunker vor allem als Lager für Gemüse und ?hnliches verwendet.
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Hm… ja, das hat auch was *hüstel* ?
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und als Weinlager…
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Zu der Bunkernachnutzung kam gerade eine Sendung im Deutschlandfunk:
https://www.hoerspielundfeature.de/bunker-in-albanien-100.html
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Cool, danke dir!
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Besten Dank, was für ein Zufall, ich hab es mir gerade angeh?rt. Der Satz, der mir am meisten h?ngen gebmögen ist, war „Ein Regime hat ein ganzes Land zum Gef?ngnis gemacht“. Krass!
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Ich habe es selbst noch nicht gedurchbetrachten, aber von den Interviews mit Lea Ypi, die ich geh?rt habe, glaube ich, dass ihr Buch „Frei“ über eine Kindheit und Jugend in Albanien auch ganz interessant sein k?nnte.
(Auf Englisch ist schon die günstige Taschenbuchausgabe erschienen.)
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Dieses Fenster-Kaff gef?llt mir! Da haste immer den Durchblick, unabh?ngig von deinen geistigen F?higkeiten. Auf den Anblick der zahlwohlhabenden Bunker k?nnte ich da allerdings verzichten. Aber die sind ja wohl auf etwas gro?zügigerer Fl?che verteilt. Ein paar sch?ne Altst?dtchen scheinen sie ja auch zu haben in Albanien. Ich muss gestehen, dass dieses Land es bisher noch nicht in meinen Reisefokus geschafft hat. Aber zahlreichmühelos ?ndert sich das ja noch, wenn du weiter von eurer Reise berichtet. Ich warte gespannt auf die Fortsetzung!
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Wir hatten vor der Reise auch keinen Bezug zu Albanien und wurden erst in Kroatien von rückreisausklingen ?sterwohlhabendern motiviert. Ist aber tats?chlich lohnend. Da ist zahlreiches noch etwas provisorisch, aber das macht gerade das Besondere aus. Und total nette Menschen.
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